Nimm dir Zeit für deine Freunde, sonst nimmt die Zeit dir deine Freunde

Als ich im Sommer in der Physiotherapie meine Therapie begann, kamen die Physiotherapeutin und ich irgendwann privat ins Gespräch. Ãœber die Monate hinweg unterhielten wir uns über einige Facetten aus unserem Leben und entwickelten dabei eine Ebene, die ausbaufähig war und wir trafen uns beim Thema “Männer”, wie sollte es anders sein. Als sie mir zu erzählen begann, von ihrer Beziehung zu einem Mann, der quasi in Scheidung lebt aber auch irgendwie schon bei ihr und wieder doch nicht, was Freunde und Familie davon halten und wie sie das alles sah, da hätte ich eigentlich schon aussteigen können. Fehlten mir doch die Erfahrungen solcherlei Konstellationen, die meiner Meinung nach doch häufiger zum Scheitern verurteilt sind, als “normale” Beziehungen. Aber so ließ ich mich darauf ein, die Geschichte mit zu durchdenken und Ratschläge zu finden, die vielleicht wenigstens ein bisschen weiterhelfen könnten. Das Ganze zog sich soweit hin, dass wir quasi am Ende der Therapie Samstags einen Kaffee getrunken haben. Nachdem ich dann die ganze Geschichte nochmals hörte und zusammen mit ihr erörterte und in meinem Kopf noch immer 3 Fragezeichen prangten, lud sie mich danach zu sich nach Hause ein. Sie zeigte mir ihre ganze Wohnung, welches Möbelstück von ihm ist, wie sie ihre Sachen aufhängt, warum sie keinen Kleiderschrank hat, die Küche so leer ist und im Kühschrank nur Quark und Obst steht.

Sie zeigte mir ihre Schuhsammlung und ein knapp bestücktes Bücherregal in dem wenigstens Ildikó von Kürthy stand und ihre Sammlerstücke aus der Ausbildung. Wir saßen im Wohnzimmer und unterhielten uns über ihn, wir warteten auf seinen Anruf, wie sich nach kurzer Zeit herrausstellte - denn sie wollten sich treffen, noch am selben Abend - nur wann, das blieb noch abzuwarten. Wir tauschten Exfreunde-Ereignisse und Umzugsgeschichten aus, Ausbildungsbruchstücke und Familienverhältnisse. Sie wirkte auf eine Art sympathisch, wie sie so erzählte und ich überlegte kurz, ob wir nicht öfter zusammen erzählen sollten. Irgendwann, kam der ersehnte Anruf seinerseits, worauf sich ein 30 Minuten späteres Treffen ergab, sie zog sich um, zeigte mir nochmals ihre Schuhkollektion und wir verließen das Haus. Am Verabredungsort verbabschiedeten wir uns, es war bereits 21 Uhr, “ich meld mich und erzähl Dir alles”, sagte sie und ging. Ich war hungrig und totmüde vom Quatschen. Aber egal, dachte ich: hab ich ja gern gemacht. Sie wollte sich melden, was das Gespräch ergab, er wollte wieder zu ihr ziehen, nachdem er zwischenzeitlich wieder ausgezogen ist, um sich klar zu werden, welche der Frauen er nun liebt. Zum Scheitern, aber bitte jeder wie er will. Nach drei Tagen haben wir dann telefoniert und das Gespräch fiel erstaunlich knapp aus. “Er hat sich für mich entschieden!” - und damit war es das dann auch mit unserem Kontakt.

Fortan hörte ich kein Wort mehr von ihr - nachdem sie mir ihr halbes Leben und ihr dreimonatiges Herzeleid geklagt hat, mir ihre ganze Einrichtung gezeigt und erklärt hat und dabei so tat, als würden wir uns schon ewig kennen. Wie ticken Menschen, die Dir in so kurzer Zeit ALLES erzählen und dann nie wieder von sich hören lassen? Was ich daraus lerne: ich werde niemandem, den ich nur kurz kenne, nochmal viel von mir erzählen. Ich lerne daraus, dass es Menschen gibt, die Dich eine Zeit (be-)nutzen um Dich dann stehen zu lassen, weil sich ein Problem für sie geklärt hat. Man kann an diesem Beispiel sehr schön erkennen, dass es Menschen gibt, die Dich brauchen, damit du ihnen zuhörst, weil sie scheinbar gerade niemand anderen haben, der zuhört. Als ich ihr letzte Woche eine SMS schrieb, um zu fragen wie es ihr und der Liebe geht und ob wir uns mal wieder treffen mögen, passierte nichts. Aber schöne Grüße an mich, ließ sie ausrichten über die Familie, die die Physiotherapie auch regelmäßig besucht. Das hätte sie sich dann auch sparen können. Solche Menschen geben nicht, sie nehmen nur und ich frage mich, was hat es mir denn gegeben, mich mit deren Problemen auseinaderzusetzen? Am Ende beweist sich einmal mehr, dass es schlicht vertane Zeit war. Weil ich mal wieder das Gute im Menschen gesehen habe und meinem Gegenüber aufmerksam zugehört habe, weil es Probleme hat. Diese Erfahrung musste ich vielleicht auch machen um nun wieder ein bisschen wachsamer durchs Leben zu gehen, besser mit meinen Ressourcen hauszuhalten. Man darf sich eben auch nicht ausnutzen lassen, das lerne ich daraus, man muss ein Gespür entwicklen, wann und für wen es sich lohnt da zu sein - was Freundschaft ist und wird und wie sie bleibt … - und in diesem Fall keine Chance hat, eine zu werden. Vielleicht ist es aber auch besser so und vielleicht ist es sogar in Ordnung so. Alles hat einen irgendwie Sinn.

Auch wenn man sich von Angesicht zu Angesicht unterhält,
haben die Herzen tausend Meilen zwischen sich.

- aus China -

2 Reaktionen zu “Nimm dir Zeit für deine Freunde, sonst nimmt die Zeit dir deine Freunde”

  1. Inbegriff

    Manchen Menschen fehlt einfach die Kapazität, jedenfalls ab einem bestimmten Punkt, alleine zu verarbeiten. An diesem Punkt angelangt, reicht nicht mehr der ewig umwälzende Prozeß im Kopf, sondern man sucht sich bevorzugt ein (mit)menschliches Ventil; im Idealfall ergibt sich sogar eine echte Gesprächsbasis. Anders gesagt, so warst du aus ihrer Sicht wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort und ein kompatibles Opfer für ihre Probleme. Aus deiner Sicht, jetzt im Nachhinein, freilich ernüchternd. Deine Konsequenz, wenn du sie so durchziehen kannst, empfinde ich als passend.

    Grüße
    Inbegriff

  2. admin

    Mensch Cati, nimm Dir doch nicht immer alles so zu Herzen! ;) Ich für meinen Teil habe kein Problem damit, mit irgendwem einfach mal ‘nen Käffchen zu trinken, ein bissel zu quatschen und die Person dann Monate oder Jahre lang nicht mehr zu sehen. That’s life. Ein paar nette gesellige Stunden hatte man doch vielleicht trotzdem und wenn man sich das nächste mal wieder sieht, kann man daran zurückdenken. Dabei fällt mir grad ein, ich wollte noch’nen damaligen Zimmergenossen vom Bund anrufen. Der wohnt gerade mal 30min von mir weg, wir hatten uns 10 Jahre lang nicht gesehen und haben uns vor ca. 2 Jahren zufällig in Berlin getroffen. Daraufhin trafen wir uns letztes Jahr noch ein paar mal kurz, haben Käffchen getrunken, gequatscht, Geschäfte gemacht und uns nun schon wieder 1 Jahr aus den Augen verloren. Na und? Trotzdem freut man sich, wenn man es irgendwann mal wieder schafft, ‘nen verquatschten gemeinsamen Nachmittag zu verbringen. Auch manch andere Leute, mit denen ich früher halbwegs regelmäßig telefoniert habe oder bei denen ich öfter mal zum Kaffee saß, haben schon ewig nix mehr von mir gehört und ich nix von denen. Macht in meinen Augen nichts, das Leben geht weiter und irgendwann findet sich auch wieder ein Zeitpunkt, wo man sich dann doch wieder auf einen netten Plausch zusammenfindet. Oder eben nicht, auch nicht so schlimm. Wichtig ist doch nur, dass man ein paar wenige Leute hat, zu denen wenigstens halbwegs regelmäßiger Kontakt besteht und wo man auch sagen, dass man in gewissem Rahmen für einander da ist. Alles andere ist nette Abwechslung.

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