„Marzahner Vorstadtschnitte kannst Du tragen, wenn Du 70 bist!“

Ich habe mich nach langer Zeit dafür entschieden zu wechseln. Wenn man merkt, das es nicht mehr stimmt und die Farben nur noch ein tristes Einerlei sind, Strähne um Strähne zwar schimmert aber nicht mehr glänzt und einem Morgens gähnenende Langeweile im Spiegel entgegen schaut, dann ist es Zeit, etwas zu tun. Ich mußte etwas verändern, ich wußte noch nicht genau wie und wo und eigentlich hatte ich auch keine Zeit. Naja egal, es geht schon noch. An einem Freitag im Oktober war ich dann mit Angelika essen:
„Ja und weißt du Cati – der Kolja arbeitet ja jetzt am Schiffbauerdamm!“ Nein, wußte ich nicht. Aber plötzlich wußte ich: das ist die Lösung – jetzt, sofort und heute – das wird gut werden. Ich machte am selben Nachmittag einen Termin und saß um halb Vier vor Koljas Riesenspiegel und schaute besorgt auf meine tollen, roten Haare, die ich so nicht mehr haben wollte. Koljas Frisörstübchen war noch recht einfach, große Spiegel, bequeme Sessel und ne furchtbar häßliche Wanddeko für die er aber eigentlich nichts kann, weil seine Chefin die halt toll findet und die in jedem Laden hängen muß – Wiedererkennungswert – den hat es auf jeden Fall, auch häßliches vergißt man länger nicht.

Irgendwann begann ich zu erzählen, warum ich so unglücklich über meinen derzeitigen Haarzustand bin und was ich alles nicht mehr will – dafür aber gerne hätte So sind wir Frauen! Kolja ist aber der erste Frisör – und mein erster Männlicher- der eigentlich alles verstanden hat, was ich gesagt habe. Er betrachtet mein Haar und sagt so Sachen wie: „Schau mal, es fällt aber so, Du kannst es eigentlich nicht entegen der Wuchsrichtung tragen und legen!“ „Siehst Du , der Wirbel hier… weil er nach..“ Ich schaute gerührt in den Spiegel und war fast ein wenig sprachlos, wie er mit den einzelnen Strähnen sprach. Das hatte ich in der Form noch nicht erlebt, das man sich so intensiv mit der Beschaffenheit des Haares befassen kann.

Er versprüht einen gewissen Charme mit seinen kreativen Ideen, die er nochmal verbessert, dann doch verwirft und nochmal aufgreift um dann das Optimalste daraus zu machen. Ein bißchen wie ein Maler. Es ist die Liebe zum Detail und der Wille Neues zu wagen, etwas zu verändern, auch wenn Veränderung Umgewöhnung bedeutet. Und die bedeutet es für mich, als er mein noch trockenes Haar mit dem Scheitel in die andere Richtung legte: „So wäre es richtig herum, Cati!“. Es war anders und inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Während man sitzt, schaut man auf die Spree, auf die kleinen Teelichter, die auf den längst nicht mehr besetzten Biergartentischen stehen, Berliner Funkellichter, ein bißchen romantisch, abends im Schiffbauerdamm, hinter den großen Fenstern, während einem Schampoo- und Kaffeeduft um die Nase wehn’. Und plötzlich gibt es beim Waschen Kopfmassagen und eigentlich willst Du dabei in den Sternenhimmel kucken, der über Dir hängt, aber es geht nicht wirklich, weil Dir einfach die Augen zufallen und 2 Hände über das Haar Deine Seele streicheln. Gibt es was Besseres, in kalten Herbsttagen – fragt man sich einen Moment lang. Kolja hat meinen Nägeln einen schlichten aber eleganten Ausdruck verliehen, einen aus dem man mal ein kleines Kunstwerk machen kann. Er zeigt mir seine Entwürfe, die er selbst auf Fingernagelschablonen gemalt hat, und das macht es einfach liebenswert und ich sage zu ihm:
„Kolja, Männer wie Dich – die könte man heiraten!“ Die Sache hat nur einen winzig kleinen Haken: Koljas Mann – der weiß das sicher auch. Und weil Kolja ist, wie Kolja, macht es meinen Frisörbesuch jedes Mal zu einem Erlebnis, weil es Spaß macht zu sehen und zu fühlen, das Jungs wie Mädchen sein können. Und auch mein Liebster, fand mich ganz entzückend: “Sieht ein bißchen aus, wie der Herbst!” Goldige und braune Strähnchen, hell und dunkel. Ein kleines buntes Laubgewirbel .

Veröffentlicht von cati am Thursday, den 8. November 2007 um 20:49 Uhr in Aus besonderem Anlaß.