Geschäftsgespräche in der Deutschen Bahn
Ich und mein Koffer pressen sich an die grüne Zwischenwandtür auf dem Gang zu meinem reservierten Sitzplatz. Gefühlte 20 Schüler schieben sich an mir mit ihrem Koffer vorbei und ich frage mich, warum ich eigentlich stehen bleibe? Die Lehrerin kräht von hinten, sie mögen alle weiterlaufen. Nicht das ich vielleicht auch gern irgendwo mal ankommen möchte. Nachdem ich im Regionalexpress von Emden nach Hannover mit einer Vierergruppe redsehliger Rentnerinnen 3 Stunden verbrachte, über deren gesamte Familienverhältnisse und Reiseziele informiert wurde, sitze ich nun endlich an meinem Tisch. Natürlich nicht ohne größere Umräumarbeiten, denn mein Platz war natürlich belegt. Die nächsten 2 Stunden verbringe ich mit 3 Menschen, die an diesem Tisch über ihre Geschäftsbeziehungen sprechen. X prahlt mit seiner 12 jährigen Tätigkeit bei Ford. Spannnend. Y gibt Wissen preis, was meiner Meinung nach nicht für die Ohren der IC Gäste bestimmt sein sollte sondern eher für seine Kollegen bei VW. Wir passieren Wolfsburg und sie explodieren mit voller kindlicher männlicher Freude als sie die Türme sehen. „Aaah guck mal: unsere Traumstadt“ Die Prahlerei nimmt kein Ende und führt weiter mit einer Spritztour im 1930er Bugatti, ach und ja und wie toll. Ich stöhne mehrfach leise vor mich hin, will einfach mal testen wie viel Rücksicht die Menschen nehmen, es könnte ja sein, dass ich auch hier sitze und arbeite. Natürlich tue ich das nicht und beobachte mal wieder, dass sich jeder selbst der Nächste ist und Rücksicht in der Lautstärke der Gespräche einfach mal keinen interessiert. Mein Bedarf an Bahn fahren ist sowas von gedeckt und wenn ich es dennoch mal wieder muss, fahre ich nur noch in der Ruhezone des ICEs. Ich empfinde es nicht nur als Zumutung für mich sondern auch für alle anderen Mitreisenden. Ich überlege, wie verhält man sich korrekt: „Entschuldigung, könnten Sie eventuell leiser sprechen?“ „Entschuldigung, ich würde mich gern konzentrieren!“ Wie auch immer, ich frage mich, wie interessant es die Vorgesetzten der Herren fänden, dass hier so viele Geschäftsinterna lautstark durch den Wagen 24 gequatscht werden. Y hört sich gern selbst reden und erzählt uns seine frühkindlichen Spielzeugautogeschichten inklusive der nicht erfragten Weihnachtsmarkterlebnisreisen mit der Deutschen Bahn, die ja so furchtbar waren - tja wäre er mal mit seinem häßlichen dicken VW gefahren …
Am 23. May 2011 um 08:47 Uhr
In einem Buch (der Trivialliteratur) habe ich vor kurzem den Satz gelesen, dass es in unserer Gesellschaft nicht drauf ankommt, was man kann oder gelernt hat, sondern eher darum geht möglichst lautstark kundzutun, was man alle könnte.
Das Selbstwertgefühl grundiert sich nicht aus Leistung und Wissen, sondern durch Prahlerei.
In fast jedem Bereich steht der im Mittelpunkt, der am lautesten und buntesten von sich erzählt - und es gibt viel zu wenige die es wirklich nervt.