Mein erstes Mal Hebamme
Letzte Woche war ich das erste Mal in meinem Leben bei einer Hebamme. Eine Erfahrung, die ich mir a) anders vorstellte oder sagen wir besser b) noch nie richtig vorgestellt habe. Manchmal ist es im Leben sehr hilfreich keine Ahnung von einer Sache zu haben und da völlig unbedarft reinzuschlittern. So schlitterte ich am Donnerstag von 17 bis 19 Uhr in eine Welt, die ich sonst nur aus Kinofilmen kannte. Eine ganzes Zimmer voll Baby. Wand, Regale, Schränke, Teppich, Couch: alles Baby. Schmetterlinge an der Wand, Millionen Broschüren und zehntausend Feuchttuchboxen in einer Schrankwand, wie sie sonst in jedem Wohnzimmer zu finden ist. Eine Wand gefüllt mit gerahmten Familienbildern: “Danke, für die tolle Zeit mit Dir!”. Ich bin orientierungslos und weiß gar nicht wo ich zuerst hinstarren soll. Ich muss mich einen Moment daran gewöhnen, kurz fühle ich mich wie beim Zahnarzt und möchte am liebsten sofort wieder weglaufen. Meine Welt war bis vor 5 Minuten eine ganz Andere. Crash Boom Bang. Ich atme einfach gegen das Unbehagen. Ich bin überfordert mit dem ersten Eindruck. Herzlich Willkommen Cati, es ist so weit.
Meine erste dringende Frage war der Weg zur Toilette, denn wie so oft, schaffte ich es mal wieder gerade so in Bernau anzukommen ohne unterwegs aussteigen zu müssen. Es ist wohl schlauer eine Stunde vor der Abfahrt aus Berlin nichts mehr zu trinken. In dem kleinen Badezimmer schließe ich die Tür und mein Blick fällt direkt auf das Sideboard neben der Dusche, auf dem drei riesengroße Pakete Wochenfluss Binden stehen. Du meine Güte, ich hatte ja keine Ahnung, ich hatte es mir harmloser vorgestellt. Gut das ich nicht irgendwann doof Fragen muss Ãœber dem Waschbecken auf dem Regal stehen ungefähr eine Million Proben für Baby’s Popo, Babys Gesicht und Mamas Dehnungsstreifen. Als ich das Bad verlasse muss ich durch die Küche und halte Aussschau nach einem für mich geeigneten Likörchen, welches ich mir unauffällig schnell einhelfen könnte, jedoch Fehlanzeige. . Statt dessen steht auf dem Fensterbrett eine Brigade Schwangerschafts- und Stilltee, Aletesaft kotzt das Kind und wenigstens eine Senseo Padmaschine, die den für mich heilenden Kaffee aber leider auch gerade nicht ausspuckt. Cool bleiben, denk ich mir, schaffste.
Die Hebamme ist toll. Sie ist offen und sie ist ehrlich und sie macht mir klar, das ich alles kann und nichts muss. Sie teilt meine Einstellung zu Kursen, in denen ich auf dem Boden, mit zehn anderen Schwangeren Frauen kugele und wir uns anhecheln bis ich vor Erschöpfung das Asthmaspray zücke. Sie überlässt es mir, ob ich derlei Runden brauche und sagt mir gleichzeitig wo ich diese Kurse in der Region belgen kann. Sie erklärt mir, was wir alles gemeinsam machen können, ich bin sofort einverstanden, sie sieht das meiste so wie ich: Probier Dich aus - ich helfe Dir, wenn Du es möchtest. Keine Dogmen, keine Ratschläge, die ich jetzt Anfang des 6. Monats noch nicht gebrauchen kann und ohnehin wieder vergesse und leider schon viel zu oft höre. Gerne ungefragt, ich hasse es. Sie gibt mir das Gefühl: Schaffst Du locker und nicht: “Ich würde das lieber so machen! Zu unserer Zeit ging das auch alles so und so.” Ich lebe jetzt, in meiner Zeit und ich will mich einfühlen in die mir unbekannte Welt und frage wenn ich Fragen habe. Krümel und ich, wir haben schon 5 Monate geschafft und den Rest schaffen wir auch. Ich mag sie und unterschreibe den Vertrag. Sie spricht frei heraus, was sie über das ein oder andere Krankenhaus denkt und sagt mir ihre Meinungen, zu Hebammen, die keine Zeit haben und in ihrem Beruf abgestumpft sind. Ich erfahre viel über die Arbeit einer Hebamme und stelle gleichzeit fest, dass das nie mein Beruf gewesen wäre, so schön die meisten Facetten davon sein mögen. Sie erzählt mir auch das, was daran weniger schön ist: auch das ist Leben und ich versuche nicht sofort loszuheulen obwohl nicht mehr viel fehlt, die zwei Stunden sind emotional voll aufgeladen. Sie fragt mich, wie ich es mir geht und ging, wie ich arbeite und was mich möglicherweise auch belastet. Sie erzählt mir von Frauen, die sie übel beschimpft haben, ich bin schon wieder raus als ich das höre und wundere mich einfach nur. Je länger wir sprechen desto sympatischer wird sie mir und ich bin sicher gut aufgehoben zu sein, wenn es nötig ist.
Nachdem wir uns kennengelernt haben bekomme ich meine ersten Flyer in die Hand. Wir sprechen über meine Plazenta. Was ich neben Kolostrum und Kindspech mal ein sehr schönes Wort finde. Es klingt ein bißchen wie aus unserem Planetensystem. Während sie spricht gehe ich in mich und denke an Krümel wie er in seiner Planzenta durch meine innere Umalufbahn saust. Was ich erfuhr verschlug mir zunächst die Sprache.
“Du kannst aus Deiner Plazenta Globuli machen lassen!” “Ich kann was?”, frage ich ungläubig zurück.
Globuli? Das sind doch die Zauberkügelchen, die meine Ãœbelkeit in Schach hielten und meine triefende Nase im Winter heilten. Und richtig: genau die. Sie erklärt mir den Prozess des “Ein Stück abtrennen” “Gleich zur Entbindung” und “Einsenden lassen” und “Daraus Globuli” machen lassen. Ich war sprachlos und gleichzeitig gefiel mir daran etwas. Ich erfuhr wie nährstoffreich meine Plazenta ist, ein weiterer Aspekt über den ich mir im Leben noch keine Gedanken gemacht habe. “Mich gesund machen mit dem eigenen Körperstoff” entspricht ja der Lehre der klassischen Homeopathie, Gleiches mit Gleichem zu heilen. Je mehr ich darüber erfahre desto mehr gefällt mir die Idee. Irgendwann muss ich dann lachen, weil sie eine so tolle Art hat, mir das zu erklären. Das erste mal in 2 Stunden bin ich erleichtert und dafür bin ich ihr irgendwie dankbar.
Ich fahre mit dem guten Gefühl nach Hause, die richtige Entscheidung getroffen zu haben und bin ein bißchen glücklich. Zu Hause angekommen grillen wir. Der Liebste hat einen Freund eingeladen, der in circa zwanzig Jahren sterben wird. Er erzählt mir seine Geschichte. Ich bekomme fast nichts mehr runter und ringe mit den Tränen. Nach einer Stunde verabschiede ich mich zur Nachtruhe, ich kann es nicht mehr ertragen. Zwei Stunden Leben, zwei Stunden Freude, eine Stunde Tod. Ich gehe ins Bett und muss erstmal heulen. Zuviel Information an einem Tag. Irgendwann ist es genug, ich habe dafür keine Kraft… Krümel und ich schlafen ein und schlafen wiedermal sehr schlecht. Freitagmorgen nicht mein Morgen…aber das Wochenende naht. Kraft tanken. Ausruhen. Mir etwas gutes Tun…