Nokia will Deutschland den Rücken kehren

Seit gut einer Woche brodelt in der Presse ein neues haarsträubendes Thema: Nokia will sein Werk in Bochum schließen und dass trotz riesiger Gewinne. Den Aktionären und Managern ist jedes Mittel recht, Einzelschicksale interessieren da nicht. Vergessen sind (scheinbar) die Berichte der letzten Monate über tote Kinder und die Jugendkriminalität. Es wird reichlich geflucht und verteufelt, aber brauchbare Lösungen dieser Firmen-Verlagerungs-Problematik sind in unserer Politik wohl so fern, wie die Lösung manch anderer Unstimmigkeiten in der heutigen Gesellschaft.

Nachdem wir in den letzten Jahren bereits den deutschen Handyhersteller Siemens, später Benq-Siemens bzw. BenQ Mobile, verloren haben und tausende Fachkräfte sich nach einer neuen Beschäftigung umsehen mußten, kommt Nokia trotz riesiger Gewinne auf die unglaubliche Idee, die Gewinne per Werksverlagerung nach Rumänien weiter zu maximieren und die 2300 Mitarbeiter in Bochum auf die Straße zu setzen. Für Nokias Image kommt neben der in den letzten Jahren in Richtung Zeitarbeit, also moderner Sklaverei, verschobenen Arbeitsplätze zusätzlich belastend hinzu, dass etwa 88 Mio € Subventionen in den Jahren 1995-1999 für das Bochumer Werk von Land und Bund geflossen sind. Fragt sich nur in wessen Tasche - wobei die Frage eigentlich leicht beantwortet werden kann: in die der Aktionäre. Das Neue Deutschland schrieb gestern: 7.205.000.000 Euro Nettogewinn und eine Rendite von 25 Prozent – besser hätte die Nokia-Jahresbilanz kaum ausfallen können. Und die angesichts der Rezessionsängste in den USA erwartete Gewinnwarnung kam nicht. Nokia macht sich offenbar keine Sorgen. Umso zynischer, dass mehr als 3000 Bochumer ihren Arbeitsplatz verlieren sollen, neben 1000 Beschäftigten bei Zulieferern. Zu Recht skandierten Nokianer: »Dieser Gewinn ist auch unser«. Mit 7,2 Milliarden Euro könnte der Konzern über 100 Jahre die Löhne der Bochumer Nokianer zahlen.

Bei den gerade erst bekannt gewordenen Gewinnen sollte es doch eigentlich selbstverständlich sein, dass Bund und Land ein Mitspracherecht dank ihrer hohen Subventionen haben. Warum bitte, gehört nach solchen Subventionen Bund/Land nicht sogar ein Teil dieses Werkes? Die Logik sagt, dass Bund/Land durch ihre Finanzspritzen dort Großaktionäre sein müßten und entsprechend im Interesse unserer Bürger Handlungsfähigkeit haben müßten, die Realität ist leider eine andere. Auch die simpelste aller Lösungen wird wieder nicht angesprochen: warum bitte wird Nokia Deutschland nach so einer Aktion nicht einfach zwangsenteignet und verstaatlicht? Das Werk steht (egal ob veraltet oder nicht), auch von Benq/Siemens sind sicherlich noch reichlich Mitarbeiter arbeitssuchend und als neuer Staatskonzern könnte die Produktion mittels dann sinnvoller Subventionen mit Sicherheit problemlos weiterlaufen, zumal der Staat ja dadurch indirekt auch ALG-Gelder sparen würde. Ich denke, solche absolut radikalen Eingriffe in die eiskalte Kapitalmaximierungspolitik mancher Großkonzerne würde diesen und anderen für die Zukunft etwas mehr Bedacht abnötigen. Denn ein solcher Staatskonzern wäre ja immerhin ein neuer Konkurent und den will schließlich auch keiner der Verlagerungs-Künstler.
Ein weiterer Lösungsansatz wäre, EU-weit endlich die Transportkosten enorm zu steigern, damit sich Importe bzw. weit entfernte EU-interne Lieferungen weniger lohnen und Produkte wieder verstärkt vor Ort hergestellt werden. Dieselpreise auf Super-Niveau hoch, Schiffsdiesel noch höher, Flugbenzin im Preis verzehnfachen und LKW-Steuern auf das 20-fache hoch. Das würde den Standort Deutschland wieder interessanter machen und auch unsere Straßen entlasten. Dann würde auch bayrische Milch nicht mehr in Mecklenburg verkauft werden oder Brandenburger Fleisch in Bayern. Das wäre auch ein Schritt in Richtung besserer Energieeffizienz, weniger Umweltbelastung und würde Transporte wieder verstärkt zur Bahn lenken. Ok, das ist in der Wirkung ein weit größeres Thema, hätte aber eben auch Einflüsse auf die Produktionsverlagerung, die uns in den letzten Jahren schwer zu schaffen macht.

Schnell kam auch die Idee auf, Nokia-Handys zu boykottieren - da frage ich mal: wie soll man das am Sinnvollsten machen? Wir haben meines Wissens keine weiteren Handyproduktionen mehr in Deutschland und das obwohl der Markt gigantisch ist und Gewinne offensichtlich auch mit deutscher Produktion kein Problem darstellen. Auch AMD als einer der größten Chiphersteller würde doch sicherlich bei entsprechender Nachfrage zügig in Dresden noch ein weiteres kleines Werk hinstellen, in dem man spezielle Handy-Prozessoren herstellen könnte. Der Standort Deutschland mag nicht der billigste sein, aber er ist und bleibt trotzdem hoch rentabel.
Die Handyproduktion als solches ist ja auch nicht weiter schwierig. Es gibt heute bereits Lösungen, bei denen alles(!) benötigte in einem einzigen kleinen Chip enthalten ist, der nur eine Hand voll zusätzlicher elektronischer Bauteile benötigt. Auch integrierte Radio-Funktionen, USB-Schnittstellen für den PC oder integrierte Speicher bzw. Kartenslots sind schon lange keine technische Herausforderung mehr. Wählt man einen geeigneten Prozessor, kann man sogar kostenfrei erhältliche (meist auf Linux basierende) Betriebssysteme im Handy einsetzen und der Anpassungsaufwand ist vertretbar. Ist das Innenleben fertig, fehlen nur noch die Hülle mit Tasten, Display usw. und das ist bei intelligenter Handyentwicklung heute das Einzige, was man neben ein paar Softwareeinstellungen noch anpassen muss. Wenn eine Firma Handys herstellt, ist es schon lange nicht mehr notwendig, für jedes noch so ausgefallene Modell alles neu zu entwickeln. Also auch auf dem Hintergrund stellt sich die Frage, warum sich in Deutschland niemand findet, der eine neue Handy-Marke aus dem Boden stampft, die stolz das weltweit hoch angesehene Qualitätsmerkmal “Made in Germany” tragen darf.

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