Gestern Abend weilten der Liebste und ich bei Freunden. Oder vielleicht besser bei Bekannten? Ist eine Freundschaft eigentlich noch eine Freundschaft wenn man sich einmal im Jahr sieht und nach 6 Monaten erfährt das besagte Bekannte das zweite Kind erwartet? Ist eine Freundschaft eine Freundschaft, die lediglich daraus besteht, dass man sich einmal im Jahr unterhält? Ich nenne es Bekanntschaft. Es gibt Menschen, die haben lauter Bekanntschaften und sind damit vollkommen zufrieden, sind gerne distanziert, oberflächlich am Gegenüber interssiert und es reicht Ihnen auch vollkommen aus, sich alle halbe Jahre einen Newsflash abzuholen. Mir reicht es nicht, was mir aber reicht, sind oberflächliche Beziehungen. Es strengt mich an, nach einem fast dreivierrtel Jahr, Antworten auf die Frage: “Und was habt ihr so gemacht?” zu geben.
Ich bin es leid jedesmal bei Null anzufangen und meine persönlichen Highlights der letzten Zeit Revue passieren zu lassen. Es lohnt sich nicht, denn mein Gegenüber hat kein Interesse an meinem Leben und ich nicht an Ihrem und so verbleiben wir ein halbes Jahr. Ich bemühe mich gar nicht erst Interesse zu zeigen, es wäre die pure Heuchlerei. Ich kann sehr lange, sehr geduldig zuhören ohne dabei auch nur ein einziges Wort über mich zu verlieren. Ich kann viele Fragen stellen, was meine Bekanntschaft sicher gern hat und ich mache 4 Stunden lang gute Miene zu einem so sau dämlichen Spiel. Hinterher platze ich und nehme mir fest vor, mir das kein Zweites und Drittes Mal mehr zu geben.
Zu meiner oberflächlichen Bekanntschaft gehört ein sehr unspersönliches fasst steril wirkendes Haus mit Garten, dessen einzigst erklärtes Zeil es zu seien scheint: perfekt auszusehen mit der darin perfekt lebenden Kleinfamilie. Alles ist weiß, alles ist sauber, es ist kein einziger Makel erkennbar. Keine Fluse schwirrt umher, kein Schlüssel liegt wie bei normalen Leuten im Flur auf dem Sideboard. Das Treppenhaus zieren fünf oder sechs schwarz-weiße Leinwandbilder die den perfekt in Szene gesetzten Lebenslauf widerspiegeln. Mein Kennenlernen, mein Urlaub, meine Hochzeit, mein Kind, meine Familie. Die durch den Fotografen perfekt inszenierten Bilder machen die gerade kurz über 30 Familie alt, als wäre bereits jetzt alles gesagt. Es gruselt mich ein wenig, bei der Vorstellung das das siebte Bild eine auf dem Rasen knieende, Kinder im Arm haltende, Familienaufnahme jenseits der 40 sein wird, dicht gefolgt vom “Ich vor dem Altenstift”.
“Schön habt ihr es!”, heuchle ich in die Küche, nicht ganz ohne Neid auf den selbstverständlich vorhandenen Kaffeevollautomaten, der mir Latte Macchiato mit linksdrehender aufgeschäumter Milch und Schokostaub in etwa einer Millisekunde produziert. “Ach, kennst Du das Haus noch gar nicht?”, fragt meine Bekannte. Ich freue mich über die verpasste Führung, an der scheinbar alle schon einmal, bis auf mich, teilgenommen haben. Komisch, warum hat mich das eigentlich nie interessiert? “Nein, so selten wie wir hier sind?”, antworte ich ehrlicherweise und verlasse die perfekt aufgeräumte, natürlich in weiß, gehaltene Küche. Keine Deko, kein elektronisches Küchengerät was nicht ohne Daseinsberechtigung herumsteht und vor sich hinstaubt. Kein Brotbackautomat, den man nicht bedient. Ich bin so herrlich inkonsequent mit solchen Dingen und liebe meinen Brotbackautomaten, damit ich genau dann und wann mal ein Brot selber backen kann, wenn mir gerade danach ist. Ich habe keine Maxime, die mir sagt: ach, Brot kaufe ich ausschließlich beim Biobäcker. Ich friere auch nie Brot ein, für den unwahrscheinlichen Fall der Fälle, das ich mal keins mehr im Hause habe.
Mein Perfektionismusanspruch besteht einzigst darin, Sonntags bis 18 Uhr meine Wäsche, gewaschen, getrocknet und gebügelt im Schrank zu haben. Der perfekte Morgen ist für mich ein Morgen, an dem ich ausgeschlafen und ohne Augenringe in den Spiegel gucke. Perfekt ist meine Küche dann, wenn sie vollsteht mit Zutaten, die ich zum Kochen gebraucht habe und ich hinterher weiß, warum ich das Chaos angerichtet habe. Im Garten unserer Bekannten bewundere ich den akkurat gemähten Rasen mit den akkurat angelegten Beeten drumherum und in der Mitte plätschert natürlich selbstredend der Gartenteich. Ich frage noch ob Goldfische darin wohnen. Ich Dummerchen, das hätte ich doch wissen müssen. Ich denke verschmitzt an meine unperfekte Katze wie sie mir mit einem breiten Grinsen eine Fischgräte vors Bett legt, verwerfe aber den Gedanken sofort wieder. Aus der Ruhe reißt mich der Junior des Hauses, zum warm werden Kicken wir eine Runde. “Aber nicht in die Kräuter, sonst wird Mama böse!” stielt er mich ein. Ich bemühe mich und habe so richtig Lust … doch stopp, ich beherrsche mich natürlich, geradeso, und spiele weiter unperfekt Fußball.
Während des Abendessens wird Junior zum Fixpunkt und ich frage mich, wie lange man mit dem Kopf in Schräghaltung geneigt essen kann, und wie lange es wohl dauert bis man einen Teller dabei durchgeschnitten hat. Wir fassen uns an den Händen und machen Piep Piep. Das ist toll, zum ersten und letzten Mal an diesem Abend kommt ein “Wir-Gefühl” auf. Perfekt, könnte man meinen. Nach einer Stunde kommt der Vorschlag, untereinander die Plätze zu tauschen, damit sich auch mal die fremden Freunde mit den fremden Freunden und den wirklichen Freunden unterhalten. Es stehen genau zwei von 9 Freunden auf und tauschen die Plätze. Jetzt reißt mir endgültig der Geduldsfaden und ich bewundere das T-Shirt eines wirklichen, auch dabei sitzenden Freundes und zähle bis 23 um mich nicht aufzuregen. Es ist bedruckt mit lauter weißen Schafen in vielen Reihen untereinander. Ganz am Ende, durch drei Auslassungszeichen eingeleitet, steht ein schwarzes Schaf gefolgt von einem Doppelpunkt: “Here Comes Trouble!”, ich fühle mich sofort verstanden und sage laut und deutlich zu ihm: “Gefällt mir, dein T-Shirt!”. Meine wirkliche Freundin neben mir, fragt mich “Warum?” es seien doch nur Schafe und ich sage, weil ich perfekt direkt sein kann: “Der Spruch könnte von mir sein!”. Meine Gastgeberin und Bekannte, welche mir gegenüber sitzt hingegen, guckt mich etwas irritiert und verständnislos an und versucht meinen Satz einzuordnen.
Im Nachhinein vermute ich: sie hat es vielleicht genauso verstanden wie ich es gemeint habe. Wenig später nur verabschieden wir uns mit den warmen Worten, man müsse sich bald wiedersehen und ach und ja es wäre ja sonst immer so ein langer Zeitraum zwischen den Treffen. Es ist jedes Mal das Gleiche und in einem halben Jahr werde ich vielleicht dann unperfekt nicht an dem Treffen teilhaben sondern umsetzten was ich schon so lange darüber denke: manchmal muss man einfach akzeptieren, dass aus Freundschaften Bekanntschaften werden und sich nicht mehr lohnt, etwas herbei zu reden, was nicht ist. Das wäre wenigstens ehrlich. Wenn auch nicht perfekt…
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